Lobbyist „berät“ Stadtrat
Zum Abschluss seiner Amtszeit trumpfte Oberbürgermeister Ralf Kerndt noch einmal richtig auf. Bei einer geplanten Abstimmung über einen Wegenutzungsvertrag für den regionalen Gasversorger durfte ausschließlich der Begünstigte eine flammende Rede für sein Unternehmen halten.
Wer die Chose letztendlich bezahlt? Naja, Sie wissen schon – Sie (und weil der Vertrag über 20 Jahre gehen soll, vielleicht sogar noch Ihre Enkel!)
Etwas Vorgeplänkel:
Eigentlich sollte in der vorangegangenen Stadtratssitzung bereits eine Verlängerung des Konzessionsvertrages mit der ENSO Energie Sachsen Ost AG für die Gasversorgung von Dippoldiswalde beschlossen werden.
Allerdings wurde dieser Tagesordnungspunkt auf Antrag von Falk Kühn-Meisegeier mit großer Mehrheit vertagt. Auch der designierte neue Oberbürgermeister Jens Peter unterstützte dieses Vorgehen schon im Vorfeld, erfuhr die StattZeitung.
Warum, weshalb? Diese Fragen stellte die Dippser StattZeitung bereits vor zwei Wochen den beiden Stadträten. Sobald wir eine Antwort erhalten, würden wir gern darüber informieren.
Konzessionsabgaben an die Gemeinden sind i.d.R. dafür zu zahlen, dass Medienversorger von Strom, Gas und Wasser für die Verlegung ihrer Leitungen öffentliche Wege nutzen können. Hier eine umfassendere Information bei Wikipedia.
Für Städte und Gemeinden ist dies eine erkleckliche Einnahmequelle, die jedoch letztendlich vom Verbraucher gezahlt wird.
Mit Abschluss eines solchen Vertrages wird das beauftragte Energieunternehmen zum Monopolisten in der Region. Aus diesem Grund freut man sich dort auch immer, wenn Gemeinden diese Verträge über 20 Jahre abschließen. In Dippoldiswalde speziell sollte der Vertrag bereits jetzt besiegelt werden, obwohl er erst Mitte 2015 wirksam werden sollte.
Gestern im Haupt- und Verwaltungsausschuss:
Obwohl der Termin nicht drängt, stand die Beschlussfassung zum Abschluss eines Konzessionsvertrages gestern bereits schon wieder in diesem Ausschuss des Stadtrates zur Debatte.
Im Vorfeld fragte die StattZeitung Astrid Hamann – die als Kämmerin für diese Beschlussvorlage zuständig war – wann das im letzten Jahr durchgeführte Interessenbekundungsverfahren im Stadtrat beschlossen wurde. (Anm. H. Frey – als regelmäßiger Zaungast dieser Veranstaltungen konnte ich mich nicht an eine Diskussion über dieses Thema erinnern.) Und warum nun diese Eile bei diesem Thema?
Die Stadträte wären über die Ausschreibung für die Nutzung des Wegerechtes informiert gewesen und außerdem wollte die Kämmerin gern den von ihr begonnenen Prozess zum Konzessionsvertrag noch in ihrer Dienstzeit zum Abschluss bringen.
Dass der Stadtrat bei dieser Thematik involviert war, stimmte allerdings nicht. Ein sichtlich frustrierter Falk Kühn-Meisegeier warf dem Bürgermeister und der Verwaltung Alleingänge vor, die mitnichten im Interesse der Stadt wären. Anscheinend wartete der Stadtrat (bzw. die Fraktion der Freien Wähler) auch noch auf eine Antwort schriftlich formulierter und vorab eingereichter Fragen.
Diese Fragen wurden letztendlich in der Sitzung des Haupt- und Verwaltungsausschusses gestellt – und die Antworten gab Ralf Buder, der im Interesse der ENSO knapp 200 Kommunen „berät“.
Es ist kaum zu glauben, aber wenn man Ralf Buder zuhört, gibt es kaum Alternativen und erst recht keine wirtschaftlichen Anreize, den Vertrag mit der ENSO nicht abzuschließen.
Zu den Details:
Aufgrund der fehlenden Verantwortung der Verwaltung fehlt unserer Kommune (und den Stadträten) jetzt die Zeit, über die Gründung eines eigenen Stadtwerkes nachzudenken. Hierfür wird i.d.R. eine Vorlaufzeit von 2-5 Jahren benötigt.
Rechnen sich Stadtwerke für eine Kommune? Auf eine Wiedergabe der Meinung der ENSO verzichten wir hier großzügig. Falk Kühn-Meisegeier hingegen verwies auf Freital oder Altenberg, wo die Stadtwerke nicht nur die Energieversorgung übernommen haben, sondern mit ihren Einnahmen auch bei der Finanzierung freiwilliger Leistungen der Kommunen helfen.
Abgesehen davon, dass eine Gründung von einem Dippser Stadtwerk allein unter dem Zeitdruck illusorisch ist, wollten verschiedene Stadträte eigentlich gar nicht über dieses Thema nachdenken. Ein jährlicher Zuschuss von etwa 25 T€ wäre doch gut fürs Stadtsäckel, Geld für eigene Ideen hätte man sowieso nicht; evtl. können man ja die Vertragslaufzeit auf das Jahr 2029 einschränken. In diesem Jahr laufen Verträge aus, die Schmiedeberg (für Strom und Gas) und Dippoldiswalde (nur für Strom) schon vor einigen Jahren abgeschlossen haben.
Dass der Oberbürgermeister bei dem letzteren Vorschlag sich gleich auf die Seite der ENSO geschlagen hat und für diesen Fall geringere finanzielle Zuwendungen voraussagte, … Diese Verhandlungsführung darf man schon getrost als illoyal gegenüber seinem Amt bzw. den Bürgern werten.
Verschiedene Stadträte haben gar nicht verstanden, dass hier lediglich das Wegerecht für den Energieversorger diskutiert werden soll und nicht, wer letztendlich dem Verbraucher am Ende der Leitung das Gas liefert (M. Seifert). Einige Stadträte äußerten selber, keine Ahnung von diesem Thema zu haben, diskutierten aber trotzdem laut mit und letztendlich entschieden sie auch mit (H. Lohse, S. Scannewin). Beides beunruhig leider sehr.
Änderungen am Vertragswerk?
Laut der Vorlage der Stadtverwaltung würde mit dem vorliegenden Konzessionsvertrag der Interessenlage der Stadt vollumfänglich Rechnung getragen. Allein aufgrund der Tatsache, dass dieser Vertrag nicht öffentlich gemacht wurde, lässt an dieser Aussage stark zweifeln.
In den vergangenen Jahren haben viele Kommunen neue Konzessionsverträge abgeschlossen und haben dabei zum Schaden ihrer Bürger auf viele Möglichkeiten der Einflussnahme verzichtet, die solch ein Vertrag einräumen könnte. Dazu zählen bspw.:
- Der Netzbetreiber wird zu einer transparenten Abrechnung der Konzessionsabgaben verpflichtet.
- Die Erdverkabelung neuer Leitungen wird vorgeschrieben, soweit sie wirtschaftlich zumutbar ist. Dafür trägt der Netzbetreiber die Beweislast.
- Die geplanten Arbeiten am Stromnetz werden ein Jahr im voraus zwischen Netzbetreiber und Gemeinde abgestimmt. Die Gemeinde kann dadurch Arbeiten am Stromnetz mit anderen anstehenden Baumaßnahmen an Straßen, Abwasser, Wasser oder Gasversorgung koordinieren.
- Die Gemeinde und der Netzbetreiber verpflichten sich gemeinsam, die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und Kraft-Wärme-Kopplung voranzubringen. Dafür wird gemeinsam ein Konzept erarbeitet und umgesetzt.
- Wenn es beim Netzanschluss Probleme gibt, dann dürfen sich die Bürger an eine Schlichtungsstelle in der Gemeinde wenden, die Gemeinde und Netzbetreiber gemeinsam einrichten und betreiben.
- Die Gemeinde stellt öffentliche Flächen auf Dächern für Bürgersolaranlagen zur Verfügung.
- Der Netzbetreiber und die Gemeinde erarbeiten ein Konzept zur Elektromobilität und die Einrichtung von öffentlichen Stromsteckdosen.
- Der Netzbetreiber unterstützt die Gemeinde bei der Erstellung eines Energiekonzepts, stellt dafür Daten zur Verfügung und trägt die Kosten zur Hälfte.
- Der Netzbetreiber unterrichtet die Verbraucher über Einsparmöglichkeiten.
- Der Netzbetreiber verringert die Leitungsverluste im Netz entprechend dem Stand der Technik und der Wirtschaftlichkeit.
- Die Gemeinde kann den Konzessionsvertrag nach zehn und 15 Jahren kündigen mit einer Frist von zwei Jahren.
- Wenn sich die Eigentumsverhältnisse beim Netzbetreiber ändern, er zum Beispiel von einem Konzern aufgekauft wird, dann hat die Gemeinde ein außerordentliches Kündigungsrecht.
- Der Netzbetreiber muss der Gemeinde alle wichtigen Daten des Versorgungsnetzes übermitteln wie zum Beispiel das Alter und den Anschaffungspreis wichtiger Netzbestandteile.
- Der Konzessionsvertrag verpflichtet den Netzbetreiber zu einer problemlosen Übergabe des Versorgungsnetzes nach Auslaufen des Konzessionsvertrags. Nach Beendigung des Konzessionsvertrags darf die Gemeinde das Netz selbst übernehmen oder an ein anderes Unternehmen übergeben. Dafür erarbeiten Gemeinde und Netzbetreiber ein Entflechtungskonzept.
- Der Netzbetreiber trägt die Kosten der Herauslösung des Netzes der Gemeinde aus den Netzteilen, die der Netzbetreiber weiter betreibt.
- Als Kaufpreis wird der Ertragswert des Netzes vereinbart.
Dies sind Ergänzungen eines Musterkonzessionsvertrages, der in Baden-Württemberg von verschiedenen Kommunen rechtssicher erarbeitet wurde.
Energieversorgung ist ein wichtiges Element der Daseinsvorsorge. Neben dieser demokratischen Kontrolle wäre somit auch eine immer wichtiger werdende ökologische Bedeutung für die Region interessant. Zudem ist hier der Schritt zur Bürgerbeteiligung einfacher möglich. Mehr Informationen über Konzessionsverträge (auch kritische Zwischenrufe) gibt es hier.
Noch ein paar Hintergründe zur ENSO:
Die ENSO ist ein Tochterunternehmen der Stadt Dresden. Da die Landeshauptstadt über ihre Technischen Werke (TWD) über knapp 72% der Anteile an diesem Unternehmen hält, fließen die Gewinne zuerst auch in die Dresdner Stadtreinigung, die Dresdner Verkehrsbetriebe, etc.
Dippoldiswalde hält über die Kommunale Beteiligungsgesellschaft KBO ein paar Prozente am Anteil der ENSO. Da der Beteiligungsbericht von Dippoldiswalde im Gegensatz zu anderen Kommunen, nicht veröffentlicht wird, kann die StattZeitung hier leider keine Zahlen nennen.
Über die Konzessionsabgabe (Gebühren zur Nutzung des Wegerechtes der ENSO für Gasleitungen) erhält die Stadt jährlich ca. 25.000 Euro. Abzüglich der Inflation bezeichneten verschiedene Stadträte diese Umlage als nicht sehr relevant für den Dippser Finanzhaushalt. Für die Berechnung dieser Summe wird in aller Regel die durchgeleitete Menge Gas (in kWh) zugrunde gelegt. Allerdings sind dies schon wieder Angaben, die ein Energieversorger nicht gern preisgibt und die durchaus zu hinterfragen wären.
Letztendlich zahlen aber sowohl die Gewinne als auch die Konzessionsabgaben die Kunden der ENSO, die in unserem Stadtgebiet an das Erdgas (bzw. das Stromnetz) angeschlossen sind.
Laut eigener Veröffentlichung erzielte das Unternehmen im Jahr 2012 einen Bilanzgewinn von mehr als 65 Mio Euro.
Ach so, der Beschluss:
Dem Vorschlag von Stadtrat Kühn-Meisegeier, den Tagesordnungspunkt erneut zu vertagen, folgte letztendlich eine große Mehrheit der Mitglieder des Haupt- und Verwaltungsausschusses. Bis dahin können sich die Damen und Herren vielleicht auch noch einmal kundig machen. Und vielleicht lädt man zu einer Vorberatung auch mal die Bürger mit ein, die letztendlich ja die Zeche zahlen, oder man fragt auch mal Fachleute, die sich mit Alternativen auskennen.
Kurzes PS:
Die ENSO beteiligt sich auch an innovativen bzw. alternativen Ideen in der Region. Als Energiedienstleister unterstützt das Unternehmen aber auch als Sponsor viele Vereine und Veranstaltungen.
Juli 18th, 2014 at 10:47
Ab wann sprechen wir von einem Monopol? Wenn es keine Möglichkeit gibt, alternative Anbieter nutzen zu können. Bsp.: Energiebereitstellung für Nachtspeicheröfen. Es gibt dazu keinen alternativen Anbieter, ENSO hält hier das Monopol.
Dipps wäre gut beraten eigene Stadtwerke auf den Weg zu bringen.
Aber vielleicht läßt sich der Bgm. seinen “Abgang” noch versilbern.